Dienstag, 7. Januar 2014

Scheiden tut weh, ankommen macht Freude.

Nun bin ich tatsächlich hier. US of A. Wenn das meine Mutter wüsste. Langsam realisiere ich, dass das nun nicht mehr nur hypothetisch ist. Während den monatelangen Mühen rund um Finanzierung, Bewerbung und Visa-Antrag befand ich mich in einem steten Zustand der Negation. Die Negation der Tatsache, dass dieses hypothetische Auslandssemester irgendwann auch mal real werden wird. Für mich als chronischer Stubenhocker, pathologischer Reisemuffel und überzeugter Verächter jeglicher Vorausplanung war es zwar seit jeher ein Traum in das land of the free und home of the brave zu reisen, so richtig greifbar war das Ganze jedoch nicht. Nach zig Formularen, Bewerbungsschreiben und fast verpasster deadlines (Englisch für Abgabefrist) rückte der Traum immer weiter in Richtung Verwirklichung. Doch selbst als der hübsche schwarze Roboter im US-Konsulat mich ohne jeden Ausdruck im Gesicht, ohne jede Betonung in der Stimme beglückwünschte – "congratulations, your VISA has been granted" – selbst da war es mir noch nicht so recht klar was da kommen wird.


Der Koffer wurde gepackt – 21,8kg; da war noch Kapazität für mehr – und ins Auto getragen. Am Flughafen der erste Shock: Reisen heißt auch Abschied nehmen. Meine beiden Lieblingsfrauen und ich nahmen es schwer, kein knuddeln mehr für 4 Monate, wie sollen wir das aushalten? Das ist doch unsere Lieblingsbeschäftigung!!! Von Vater bekam ich eine väterliche Umarmung und den ebenso väterlichen Schulterklopfer der diese Umarmung erst zu dem macht was sie ist. Der Zoll ließ mich raus, die Sicherheitsleute rein  – in den Flieger. Nach ca. einer Stunde auf dem Rollfeld die Ansage, dass wir noch auf Passagiere eines gekänzelten (ihr wisst was ich meine) New York Fluges warten, der Flug wurde aufgrund des Wetterchaoses an der Ostküste gestrichen. Da kann man nicht böse sein, die wollen ja auch heim. Ungefähr 1 1/2 Stunden nach geplantem Start waren wir dann auch in der Luft. Vor lauter geistiger Umnachtung hatte ich nicht den Nerv mich direkt meiner mitgebrachten Flugzeiglektüre zu widmen und stürzte mich direkt auf das doch recht ansehnliche Filmprogramm in der Kopfstütze vor mir. Wir fliegen tatsächlich immer noch die alte Lindbergh-Route, über Irland nach Neufundland und dann runter über Neuengland nach Washington. Ich bin also ein kleiner Lindbergh. Nur das Lindbergh bei seinem Flug nicht die Möglichkeit hatte dem neuen Woody Allen-Film eine zweite Chance zu geben – schade eigentlich, der hätte Lucky Lindy sicher gut gefallen. Nach etwas unter 9 Stunden Flug landen wir aufgrund des eisigen Windes recht holprig und hart auf dem Dulles Airport in Washington. Soweit so gut. Der nuschelnde Zollbeamte war die erste schwere Hürde auf dem Weg zu meiner Einreise. "Pls plc yr rght frfngrs n th scnner" sollte wohl "please place your right four fingers on the scanner" heißen. Egal, Stempel kassiert und auf zum nächsten Zollbeamten, der mich durchwinkt ohne auch nur einen Funken Interesse für den heiklen Inhalt meines Koffers aufzubringen. Umso besser. Fehlende Lust auf eine lange anstrengende Bahnfahrt führte zu meinem ersten Luxus in den USA, eine Taxifahrt. Der Fahrstil unterscheidet sich tatsächlich kaum merklich von dem deutscher Taxilenker.

Die Ankunft im Wohnheim lief recht gut. Nach anfänglicher Schwierigkeiten meinen Schlüssel ausfindig zu machen wurde ich vom schwarzen Concierge, der tatsächlich Jamaahl heißt, auf mein Zimmer gelassen. Dort erwartete mich ein sehr freundlicher, sehr hilfsbereiter Norweger namens Thomas. Toller Kerl. Die nächtliche Suche nach Decke und Kissen – ja, dieses überteuerte Wohnheim bietet tatsächlich weder Geschirr noch Bettzeug, alles muss besorgt werden – war semi-erfolgreich. Ein Kissen wurde schnell ausfindig gemacht, als Decke musste der Schlafsack meines bereits mit Decke versorgten Norwegers herhalten. Insgesamt macht die Wohnsituation einen eher schlechten Eindruck. Was auf Werbebildern im Internet noch luxuriös und sauber aussah ist eher eine Absteige. Das Zimmer ist ausreichend groß, aber wurde recht schmutzig an uns übergeben. Die erste Kakerlake wurde erlegt und sorgte für etwas unbehagen. Doch die Not macht erfinderisch. Da wir davon ausgehen, dass die Kriechtiere vor allem aus den Abflüssen kommen wurden schnell Abflussdeckel konstruiert. Die 8$ für Kakerlakenfallen können so erstmal umgangen werden. Kakerlaken aus dem Abfluss, das ist wohl das Resultat der grandiosen amerikanischen Idee alle Essensreste in den Abfluss zu schütten und dort mit einem Abfallzerkleinerer zu zermatschen. Scheint eine super Nahrungsquelle für Kleintiere darzustellen.

Ein stolzer Thomas nachdem er seine erste Kakerlake zur Strecke gebracht hat


Nach einer angenehmen Nacht ging es morgens als erste Amtshandlung in der neuen Stadt nach downtown zur Union Station um dem großen WalMart einen Besuch abzustatten. Ein Großeinkauf um den Haushalt etwas funktionaler zu gestalten. Teller, Gläser, Besteck, Kaffeemaschine und das Wichtigste – Putzutensilien. Am Ende des Ausflugs stand eine leider hübsche Summe auf der Rechnung und meine bereits zweite an Deutschland interessierte Verkaufskraft – der Herr der mir am Abend zuvor mein Kissen verkaufte antwortete auf meine Herkuft "Einen schönen Tag der Herr. Ich habe damals in Heidelberg studiert. Woher in Deutschland kommen Sie." in zwar nicht akzentfrei aber doch recht fließendem deutsch. Die WalMart Verkäuferin erzählte im feinsten Slang, dass Sie als 16 Jährige mit Ihrem stationierten Vater in Deutschland war und fragte anschließend wie es in Deutschland denn um die Rechte der Frau und die Legalität von Prostitution bestellt sei. Amerika hat die faszinierendsten und interessiertesten Verkaufskräft überhaupt zu bieten. Der nächste faszinierende Mensch war Taxifahrer Mr. Benny C. Hayes, endlich ein entspannter Taxifahrer, der die ganze Fahrt über nur Mendelssohn gehört hat. Amerika du tolles Fleckchen Erde.

Böse Zungen behaupten, dass die offene Freundlichkeit der Amerikaner nur sehr oberflächlich sei. Thomas und ich erlebten die Menschen als äußerst herzlich. Bei unserem International Student Check-In an der Uni wurden uns jegliche sorgen genommen und jede unserer Fragen mit einem Lächeln entgegnet. Ms. Stephanie Andrews Ruckers – die wir inzwischen schon nur noch Stephanie nennen – ist für uns zuständig und immer für einen Schwatz zu haben. Auf dem Campus wurden zunächst Formalitäten erledigt: Immigrationsformulare abgeholt, Student ID ausgestellt und erste Fragen zu zu hohen Rechnungen geklärt. Der Campus ist wunderbar. Tolle Gebäude, alles auf einem Gelände und eine Landschaftsgestaltung von der sich die Uni Mainz eine Scheibe abschneiden kann. Abends war dann socializing angesagt. Auf einem ersten informellen Empfang für internationale Studenten sollten man sich gegenseitig kennenlernen. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten klappte das sogar recht gut. Thomas kannte bereits vier Norwegerinnen aus seiner Heimatuni und andere seiner Landsmänner und Frauen gesellten sich schnell dazu. Die Norweger stellen dieses Jahr das größte Kontingent ausländischer Studenten. Doch auch nicht-Norweger waren schnell gefunden. Ein sehr nettes Pärchen aus Dänemark, eine Dame aus Südfrankreich, ein Herr aus Südkorea, ein anderer aus Australien. Ja sogar zwei Deutsche und eine leicht übermotivierte Österreicherin waren dabei. Da freut man sich richtig auf die Kurse, wo man sich näher kennenlernen kann. Wir haben schon so eine Art Alte-Leute-Party geplant. Da die meisten Studenten in unserem Washington Semester Program zwischen 19 und 21 sind planen wir älteren Europäer uns zusammenzufinden und unsere Volljährigkeit nach US-amerikanischen Recht feiern.


Nun ein kurzer Exkurs zum Wetter, da dazu schon einige Fragen aus der Heimat kamen. Schnee gibt es keinen, eigentlich scheint immer die Sonne. Die Temperaturen liegen so um die –14°C, was eine Kälte in Kombination mit strahlendem Sonnenschein darstellt, die ich so sonst nur aus den Alpen kenne. Das Ganze ist gut zu ertragen wenn man richtig angezogen ist. Nur das Gesicht friert regelmäßig ab. Insgesamt waren es gute 1 1/4 Tage in Washington. Nun wo die ersten Einkäufe gemacht wurden und ich mit Kaffee und Cornflakes versorgt bin, kann hoffentlich das Touristenprogramm anfangen. Auch wenn der Zeitplan für diese Woche, der uns ausgehändigt wurde, recht eng ist und wenig Luft für eigene Aktivitäten lässt. Ich werde weiter berichten.


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